von Gerhard Jahnke
This reading of Herman Melville’s Bartleby provides an insight into the unsettling effect of a short story about an employee whose refusal to comply with professional and social norms provokes questions about the limits of individual freedom in modern society.
Ein New Yorker Notar, selbst eher unaufgeregt und gelassen unterwegs, den Frieden liebend, und dessen Störungen meidend, ist gegenüber seinen Angestellten eher konziliant, akzeptiert deren Schwächen und Eigenheiten – bei Vorgesetzten eher selten anzutreffende Eigenschaften. („Gestatte mir nur noch seltener eine unbekömmliche Entrüstung“).
Die Geschäfte laufen gut, was den Anwalt dazu veranlasst, den Kreis seiner Kanzlei-Angestellten zu erweitern. Zu diesem Zeitpunkt erledigen die beiden Schreiber Turkey und Nippers sowie der Laufbursche Ginger Nut die anfallenden Arbeiten im Großen und Ganzen zur Zufriedenheit des Anwalts.
Auf seine Anzeige hin stellt sich ein junger Mann von ausnehmend ruhigem Äußeren vor und er sieht in ihm eine vorteilhafte Ergänzung. Bartleby legt in den ersten Tagen ungemein großen Fleiß an den Tag und erledigt eine außerordentliche Menge an stupiden Kopierarbeiten. Alles läuft zufriedenstellend, bis Bartleby der Bitte des Anwalts, ihm bei einer kleinen Sache zur Hand zu gehen, sanft und entschieden entgegnet: „Ich möchte lieber nicht.“
Dieser Satz ist die Ankündigung eines Ausstiegs, der allen um Bartleby herum unerklärlich bleibt. Seine Verweigerung beschämt, verstört, verunsichert – und zieht magisch an. Bartleby ist nicht trotzig, im Gegenteil: seine Totalverweigerung kommt äußerst höflich daher. Ein harmloser, passiver Widerstand, der bei dem Notar Mitleid und Verständnis auslöst. „Er ist mir nützlich; könnte an einen weniger Nachsichtigen geraten.“ Es gibt ihm Gelegenheit, mit sich selbst zufrieden zu sein; „seelisches Kapital“.
„Tatsächlich war es vor allem seine merkwürdige Sanftmut, die mich nicht nur entwaffnete, sondern mich auch gewissermaßen meiner Männlichkeit beraubte. Denn ich finde, dass jemand vorübergehend sozusagen seiner Männlichkeit beraubt ist, wenn er es sich ruhig gefallen lässt, dass sein bezahlter Angestellter ihm Vorschriften macht.“
Es wird deutlich, dass Bartleby lieber nicht möchte, nicht schreiben, nicht arbeiten, nicht einmal essen. Warum der stille Anwaltsgehilfe aber in dieser Verweigerungshaltung verharrt, bleibt ein Rätsel. Es entsteht die Erkenntnis der Aussichtslosigkeit. „Für ein empfindsames Gemüt ist Mitleid nicht selten Schmerz“. Wenn Mitleid keine Hilfe bringt, verlangt die Selbsterhaltung, dass sich die Seele davon freimacht. Bartleby litt an einer unheilbaren Krankheit – „keine Almosen können helfen; nicht der Leib litt, ich konnte seine Seele nicht erreichen”.
Die Reaktion der Kollegen ist konfrontativ. Mit kleinen Provokationen wird versucht, Bartleby aus der Reserve zu locken, zu reizen und seinen stillen Widerstand auf die Probe zu stellen.
Die Melancholie und das Mitleid des Anwalts halten jedoch nicht lange an. Er erkennt, dass der junge Mann unheilbar seelisch krank sein muss. „Nichts erbittert einen ernsthaften Menschen so sehr wie ein passiver Widerstand.“ Er kommt zum Schluss, dass hier kein Mitleid hilft, sondern nur der gesunde Menschenverstand.
Angesichts der Ablehnung aller Hilfsangebote und Maßnahmen, packt den Anwalt letztendlich doch der Zorn, aber bevor er sich an Bartleby vergeht, ruft er sich das biblische Gebot, seinen Nächsten zu lieben, ins Gedächtnis. Nächstenliebe und Menschenfreundlichkeit, sagt er sich, bieten einen wirksamen Schutz vor unbedachten Taten, und so versucht er ruhig sich selbst davon zu überzeugen, dass Bartleby es nicht böse meine, dass er es schwer gehabt habe im Leben und dass man nachsichtig mit ihm sein müsse.
Der Anwalt findet sich mit der Situation ab, aber die Macht der öffentlichen Meinung, die Reaktion seiner Kollegen und Klienten, zwingt ihn dazu, dem ein Ende zu setzen – er zieht in ein neues Büro. Bartleby bleibt in dem Gebäude, was zunehmend zur Verärgerung des Hausbesitzers und der anderen Mieter führt, die sich an ihn wenden und eine Klärung von ihm fordern – was nicht gelingt, es findet sich keine Lösung. Der Anwalt flieht und bei seiner Rückkehr erfährt er, dass Bartleby als Vagabund ins Gefängnis gebracht worden ist. Auch in Haft verweigert Bartleby jegliche Angebote. Sein stilles Wesen und seine Sanftmut führen zu Privilegien, die ihm die Möglichkeit bieten, sich vollständig zurückzuziehen. Bei einem Besuch findet der Anwalt Bartleby im Hof an der Mauer liegend vor: Bartleby ist gestorben.
Sich die Freiheit nehmen, nichts mehr tun zu müssen, sich nicht fügen, sich nicht wehren. Es ist unmöglich, nicht zu spekulieren, nicht verstehen zu wollen, was diesen Nein-Sager umtreibt, aber alle Versuche laufen ins Leere, immer bleibt da die Unsicherheit. Ist es ein Angriff auf die Vernunft, auf die Absurdität der geordneten Arbeitswelt? Ist es eine Darstellung brüchiger gesellschaftlicher Konventionen? Ist sein Leben ohne Zuhause, ohne Freunde, ohne Familie ein Abbild des Lebens moderner Menschen? Isolation, Anonymität, soziale Kälte?