Notizen zum Speziesismus (Notes on Speciesism)

Benjamin Sammer



Benjamin Sammer participated in several Socrates Project courses, in fall 2021 and spring 2022. This text was produced in the context of the course “Natur und Gesellschaft in Zeiten der Klimakrise” (“Nature and Society in Times of Climate Crises”), a course in philosophy and literature that was instructed in German language in spring 2022. It discusses the relation between human and non-human animals in three works of literature and criticizes their shared assumption of human moral superiority as problematic from an ethical standpoint. 



Von März bis Mai 2022 habe ich an dem Seminar Natur und Gesellschaft in Zeiten der Klimakrise teilgenommen. Im Laufe des Seminars wurde mit Texten gearbeitet, die verschiedene Szenarien von Interspezies-Beziehungen dargestellt haben. Beispielsweise wurde in Robert Musil’s Das Fliegenpapier eine gewöhnliche Fliege anthropomorphisiert, die auf tragische Weise ihres Lebens beraubt wurde und das Mitgefühl der Leserschaft gewann. Im Roman Macht von Karen Duve wird ein Verhältnis von menschlichen Tieren (fortan Mensch) zu nicht-menschlichen Tieren (fortan Tier) nebenher behandelt, bei dem Tiere unter anderem zu CO²-emittierenden Nahrungsmitteln degradiert werden und der moralischen Schizophrenie des Menschen unterworfen sind. 


Die gleiche Schizophrenie erscheint in Karl May’s Der Ölprinz, bei dem einerseits einige Tiere als treue, gewürdigte und unverkäufliche Begleiter betrachtet und andererseits kommodifiziert werden, indem sie als Mittel zum Zweck der Ernährung und Kleidung des Menschen behandelt werden. Der Begriff Speziesismus subsumiert diese drei Szenarien von Interspezies-Beziehungen und bildet ihren gemeinsamen Nenner. Diese werden nun genauer beleuchtet. Musil beschreibt in Das Fliegenpapier, wie eine Fliege auf einem Schädlingsbekämpfungsmittel – dem Fliegenpapier von „Tangle-foot“ – landet, sich nicht mehr von diesem lösen kann und von einem Menschen bedroht wird. Daraus ergibt sich eine Täter-Opfer Beziehung zwischen Mensch und Tier. Der Mensch tritt der Fliege „grauenhaft“, mit feindseliger Absicht gegenüber, wobei der Grund dafür offen bleibt. Die Fliege ist im Hause des Menschen schlicht weg unerwünscht. Beim Versuch sich zu befreien, „beug[t] [sie] sich in den Knien und stemm[t] sich empor, wie Menschen es machen, die auf alle Weise versuchen, eine zu schwere Last zu bewegen.“


Durch solche Anthropomorphismen erzeugt Musil implizit eine Interspezies-Beziehung über den Text hinaus, zwischen der Leserschaft und der Fliege, weil solche Vergleiche Empathie für die Fliege generieren, wie wir im Seminar diskutierten. Der Mensch nimmt in dieser Interspezies-Beziehung eine dominierende, gar übermächtige Rolle ein, als passiv agierender Feind, der nur auf den Zusammenbruch der letzten Kräfte seitens der Fliege zu warten braucht. In dieser Geschichte ist keine Empathie für die Fliege seitens des Menschen zu erkennen. Dagegen sympathisiert die erzählende Person mit der Fliege, indem er sie als ahnungsloses, hilfsbedürftiges Wesen erscheinen und dem Menschen negative Attribute (siehe oben) zukommen lässt. 


Anders bei Der Ölprinz: Hier wird ein kameradschaftliches” Verhältnis zwischen Mensch und Pferd inszeniert. Ein „Westmann“ schreibt seinem Pferd Mary positive Attribute zu, wie ehrlich und brav. Diese Eigenschaften werden von ihm höher geschätzt als Oberflächlichkeiten, wie beispielsweise das äußere Erscheinungsbild. Im Laufe des Romans will ein Ölprinz Mary erwerben und bietet zunächst Geld und anschließend ein anderes Pferd dafür an. Der Westmann lehnt ab, weil das besondere Verhältnis zwischen ihm und Mary für ihn von unermesslichem Wert ist; sein Pferd gleicht keinem anderen. Es wird von ihm personifiziert und genießt sein Vertrauen, so auch das Pferd „Arrow“ des anderen Westmanns, Sam Hawkins. Die Männer sorgen sich um die Gesundheit ihrer Pferde und würden sogar Schmerz auf sich nehmen, um diesen den Pferden zu ersparen. Jedoch kommt diese Fürsorge nur ihren eigenen Tieren zu, welche eventuell aufgrund einer lebensnotwendigen Abhängigkeit egoistisch motiviert ist. Letztendlich ist das Pferd für sie ein „Vehikel“, ein „Nutztier“, und soll deshalb unversehrt bleiben, solange es nützlich ist. Dagegen werden andere Tiere, zu denen sie keine Beziehung aufgebaut haben, nicht als schützenswert erachtet, obwohl sich diese – auch mit Menschen – dieselben moralisch qualitativen Eigenschaften und Bedürfnisse, wie Leidensfähigkeit und Freiheitsbedürfnis, teilen. Zum Beispiel sind Büffel, Schakale und Fische nur Nahrung und die Haut mancher Tiere Kleidung, in Form von Leder. Mit anderen Worten: Die beiden Westmänner haben zu Tieren per se kein Verhältnis, das auf einer ethischen Position beruht (Konsistenz, Kohärenz und Evidenz), sondern ein willkürliches und damit – ethisch betrachtet – schlechtes Verhältnis. 


Ganz ähnliche Interspezies-Beziehungen zeigt Karen Duve in ihrer Dystopie Macht auf. In Duves Roman wird ein Zukunftsszenario geschildert, bei dem Wetterextreme an der Tagesordnung stehen, die – rückblickend – u.a. mit den CO²-Emissionen der Menschen in Verbindung stehen. Um den CO²-Emissionen entgegenzuwirken, werden Konsumgütern CO²-Punkte angerechnet, die dem CO²-Kontingent der Verbraucher beim Kauf abgezogen werden. In dieser Geschichte erkennt der Protagonist, dass Milchprodukte „auf tierquälerische Weise hergestellt“ werden und obendrein ernährungsphysiologisch nicht notwendig für Menschen sind. In erster Linie macht er sich Sorgen um sein CO²-Kontingent statt um das Wohlbefinden der Tiere, denn kurz darauf berichtet er, dass seine Kinder Rindergulasch von ihm serviert bekamen. 


Im Rindergulasch steckt dieselbe Art Tier, das selbes Leid erfahren hat. Ebenso emittierte die Produktion dessen Treibhausgase und es besteht auch keine ernährungsphysiologische Notwendigkeit dafür. Hierbei verurteilt er lediglich die Emissionen. Das zeigt die bereits erwähnte moralische Schizophrenie auf. Später im Text gibt es eine Begegnung mit einem verletzten Wellensittich, um dessen Zustand sich der Protagonist nicht schert. Bei einer weiteren Begegnung mit einem anderen, bereits toten Wellensittich, setzt sich der Protagonist für die körperliche Unversehrtheit des Vogels ein – indem er verhindert, dass sein Gegenüber den Körper des Vogels beschädigt –, um ihn dem Naturschutzbund schicken zu können. Von seinem Gegenüber wird der Protagonist daraufhin als „alter Öko“ bezeichnet, womit die nahezu erloschenen naturschützenden Ambitionen adressiert werden. Tierkonsum ist energietechnisch sehr ineffizient und stark ressourcenzehrend, was im Widerspruch zu seinem damaligen Lebensstil als Öko’ steht. Zusammengefasst bilden die hier diskutierten Textauszüge Interspezies-Beziehungen ab, die so auch größtenteils in der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft gelebt werden. Die Art und Weise, wie Tiere behandelt werden, unterliegt dem menschlichen ‚Despotismus’. Ob der Mensch ein friedvolles oder gewaltvolles Verhältnis zum Tier hat, ist davon abhängig, welchen Zweck das Tier als Mittel erfüllen soll. 



Literatur 


Robert Musil: Das Fliegenpapier, Nachlass zu Lebzeiten, I Bilder (1936), entstanden 1913.


Karen Duve: Macht, Berlin: Verlag Galiani Berlin, 2016.


Karl May: Der Ölprinz, Ein Abenteuer aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika von Karl May, Zeitschrift Frohe Stunden, 1877.